Dienstag, 18. Mai 2010

deutsche industrienorm, ziellose reinigungsversuche und gute kunst

Schon gestern abend kommen die ersten anrufe auf meine anzeige – ein indiz dafür, dass die nummer nun richtig ist. aber: man verlangt den englisch-lehrer! Anscheinend wurde der text-fehler nicht ausgeräumt und da der anzeigentext auf englisch ist, liegt es nahe, nach einem englisch-lehrer zu verlangen. Nun, ich brauche die anzeige ja nun eh nicht mehr wirklich, da ich inzwischen auf anderem wege schüler gefunden habe, die ich demnächst in deutscher sprache unterrichte. Und auch meine bemühungen, die arabische sprache zu erlernen haben heute einen wichtigen schritt nach vorne unternommen. Ich habe mich mit meinem tandelpartner shakir getroffen und nach einigen sprachlichen übungen sind wir nach halbuni, wo die universitätsbuchhandlungen sind, und haben mir vokabelkärtchen zuschneiden lassen. Ich hatte nämlich versucht, hier welche in dinA8 zu bekommen: aussichtslos (die deutsche indutrie-norm geht der syrischen industrie ganz offenbar überhaupt ab). Die größeren selbst zu zerschneiden schien mir erst eine alternative, aber die sind mit so dicken schwarzen linien bedruckt (dann auch noch in der falschen richtung), dass ich die arabischen vokabeln, wenn ich sie dann kunstvoll gemalt hatte, darauf kaum erkennen konnte (wer und wozu braucht man solche karten?). die neuen nun sind aus guter pappe, linienfrei und wunderbar! Sie sind sogar gerade geschnitten!

Treffe mich mit ian im park, um viel zu süßen nescafe zu trinken. Er ist wirklich eine bereichernde neue bekanntschaft. Tickt ähnlich und hat interessante dinge zu berichten. Zudem hat er die gleichen probleme beim arabischlernen – das hört man ja auch gerne! Seinem rat folgend aktiviere ich gleich ein weiteres tandempartnergesuch, denn er meint, man brauche mindestens drei verschiedene. Mit einem, said verabrede ich mich recht unkompliziert gleich für morgen Mittag bei goethe im cafe. Er scheint kurde (zumindest seinem wohnort nach) und ähnlich flexibel zu sein, wie mein erster tandempartner, allerdings noch besser deutsch zu sprechen. Die wohnviertel sind hier ja oftmals noch recht aufschlussreich, in bezug darauf, woher jemand kommt. Wenn jemand aus jarmuk kommt, ist er mit 95%-iger wahrscheinlichkeit palästinenser, kommt er aus rokneddin, dann kurde. In midan wohnen fast nur alteingesessene familien aus damaskus, in muhashreen oder mezze jabal auch ein paar europäische ausländer, die man z.b. in bab el jabi oder bab es srischi nie finden würde. Christen wohnen in bab touma oder kassaa, schiiten in der ameen-straße und umgegend. Iraker wiederum findet man in jeremania oder sednaja und so weiter.

beim sport muss ich ebenso hoffnungs- wie ziellose reinigungsversuche miterleben. Es wird wasser überallhin verspritzt, ohne dass weitere anstrengungen unternommen würden, dem schmutz auf mechanischem wege beizukommen. Durch die nun überall herrschende feuchtigkeit löst sich – zum beispiel von den dort getragenen straßenschuhen – der schmutz, der bis dato noch gebunden war und innerhalb kürzester zeit ist alles mit einem braunen schmier überzogen. Nur das kleine stück steinfußboden im eingangsbereich wird mit (einer halben dose) scheuerpulver überstreut. Selbiges scheuerpulver, das seinem namen keine ehre macht, denn es scheuert ja nicht selbt (was es hier aber müsste, denn niemand erbarmt sich, mit ihm zu scheuern), wird alsdann mit viel wasser hinweggeschwemmt. Da es aber das charakteristikum eines eingangsbereiches ist, dass immer neue leute kommen, sieht auch der noch feuchte boden kurz darauf schlimmer aus, als zuvor. Ich war bisher davon ausgegangen, dass sich der schmutzigkeistzustand des studios durch jahrelange abwesenheit einer reinigungskraft gleichsam von selbst ergeben hatte. Jetzt weiß ich, er ist durch menschliches tun verursacht.

Das internet – wenn es denn funktioniert – ist ja eine schöne erfindung. Aber eben nur, wenn es läuft. Heute lief nix. Im pages wurde ein film gedreht, weswegen dort publikumsverkehr nicht gestattet schien. Im knusper stapelten sich die laptops in so großer dichte, dass ich schon um die startseite zu öffnen über 10 minuten brauchte. Dagegen waren die übertragungsraten mit einem analogen modem in deutschland ganz zu beginn der internet-epoche noch atemberaubend. Und das problem: mein macbook möchte ein sicherheitsupdate von 200 mb machen. Dazu muss es aber erstmal 200 mb herunterladen. Die avisierte ladezeit wird immer mit 1 tag und 15 stunden angegeben. Eine dauer, die ich unmöglich gewillt bin, in einem internetcafe auszuharren, zumal ja auch die irgendwann schließen. So muss ich denn weiterhin ohne sicherheit dahinleben. Wie machen das andere leute in der dritten welt?

Am abend ali bei mir. Es geht ihm nicht gut, wegen irgendwelcher familiensachen oder so (verpennte hochzeit, mysteriöse anrufe, was auch immer). mein arabisch ist, um problemgespräche zu führen, doch dann noch zu rudimentär. Ich arbeite dran. Es wird aber dennoch ein sehr langer und doch recht lustiger abend. Sehen zusammen noch „the rasberry reich“ von bruce la bruce, den ali nicht versteht, der ihm aber irgendwie gefällt. Ja, daran erkennt man gute kunst!

kirchenglocken, singende pioniere und kampagnen zur volksgesundheit

Sitze mit rafik am Vormittag im park (nachdem er beim „elektrischen mann“ in erfahrung gebracht hat, dass wir wasser und strom ab mitte des monats zu bezahlen hätten). Neben uns ein junger offenbar etwas verwirrter mann, der komische fragen stellt. Nicht die üblichen nach der schönheit des landes, sondern anscheinend welche, die politisch konnotiert sein könnten. Rafik antwortet, er lese keine zeitung (was nicht wahr ist) und könne dazu nichts sagen. Der gute ist noch diktatur-geschult. Er schärft mir ein, mich zu politischen themen nicht zu äußern, immer zu sagen, dass ich dazu nichts sagen könne, weil ich keine zeitung lese (allein das medium zeitung spricht noch bände darüber, aus welcher zeit diese angst kommt – heute könnte man ja auch fernsehen sehen). Die drei großen tabus der syrischen gesellschaft: sex, politik und religion. Sex kann man machen, darf sich aber nicht erwischen lassen und nie darüber reden (und nie meint nie!). Sich zu politischen themen zu äußern war sowieso gefährlich und religion ist ein tabu, weil die laizistische ordnung die religion klar in den bereich des privaten verweist. Auf die frage nach der eigenen religion (die an sich schon eine unhöfliche ist) ist die korrekte antwort: religion ist privatsache und das land ist für alle da. In der tat ist syrien ja nun ein musterbeispiel religiöser toleranz. All das dumme gelaber in deutschland über angeblich in muslimischen ländern nicht vorhandene kirchen wird hier lügen getraft, wo das staatsfernsehen zwei tage weihnachtslieder ausstrahlt und man mich auf christliche feiertage hinweist, von denen ich in deutschland nie etwas gehört habe, wo nicht nur christen, auch drusen und juden (ja, es gibt juden in syrien) ihre religion frei ausüben können und wo kirchenglocken ebenso zu hören sind, wie der ruf des muhezzin. (und wo ich glücklicherweise auch einfach keine religion haben kann, ohne dass es mir gefährlich wird!)

Gestern Mittag Shakir, mein tandempartner, mit dem ich mich auf dem arnous-platz treffe. Zur zeit des mittagsgebets fallen die geheimdiensler um so mehr auf, die ihre runden um den platz drehen, denn sie sind fast die einzigen menschen auf den straßen. Einer belauscht uns die ganze zeit, so dass ich ihm fast einen platz neben uns auf der bank anbiete, obschon alle anderen bänke auch frei sind. So ungeschichte polizisten! Was er wohl erhofft hatte zu hören? Deutsche vokabeln? Konspirative absprachen mitten auf dem platz zur ungünstigesten zeit? Im prinzip ist es aber mühsam sich in einer sprache, die man so wenig beherrscht zu verständigen. Noch immer denke ich, ich könnte zeichnerisch besser verdeutlichen, was ich sagen will, als auf arabisch. Die schwierigkeiten dabei lieben auf so vielen ebenen: laut-buchstaben-verbindungen, für mich gleich- oder ähnlichklingende laute (،ا ،ع ،ق ء oder auch ،س ،ص ز), der unglaubliche reichtum an synonyman (immer wenn ich ein wort für etwas kenne, wird garantiert ein anderes verwendet), sehr vieles, was in der umgangssprache (die ich erlerne) nicht regelhaft sondern „eben so“ ist, oftmals keine für mich klare trennung von wortarten (nomen, adjektiv, verb) sondern eben ein konsonanten-stamm-prinzip (eine art bedeutungswurzel), dass die kurzen vokale nicht geschrieben werden und ich bei mhmd rate muss, ist es mahmud, mohamed oder hamoudi – was vermutlich sogar noch alles das gleiche ist, und so weiter. Außerdem lernt man sprachen wohl doch besser, je jünger man ist. Schade um die vielen arabischstunden!

Auf dem weg zum internetcafe beobachte ich eine gruppe junger pioniere (oder ihres syrischen äquivalents – hier trägt man immerhin noch die schnittigen uniformen und die bunten halstücher!) auf dem platz zwischen der amerikanischen und der iranischen botschaft, wie sie in einer wohl mühsam eingeübten choreografie mit klatschen und singen den weltfrieden ein stück näher bringt. Kleine kinder, die – wenn sie auch sonst noch nichts wissen – immhin gewiss gehen, dass sie historisch auf der richtigen seite stehen, wo hat man das sonst noch? Heile welt! Und der ort ist gut gewählt, bis auf dass der verkehr rücksichtslos weiter tobt und im allgemeinen geknatter und gehupe wohl kaum jemand merkt was da gerade gesungen und beklatscht wird.

Wieder rauchende kinder. Und arbeitende kinder. Und artige, still bei den erwachsenen sitzende kinder. Kindheit scheint hier entweder nicht erfunden zu sein oder eine kurze, möglichst schnell zu überwindende zeitspanne abzugeben. Wie viele kinder hier arbeiten, anstatt in die schule zu gehen, oder eben nach oder vor der schule noch mitarbeiten müssen. Vielleicht verhalten sie sich daher so gut, weil ihnen wirkliche verantwortung übereignet wird. Kein lernen an stationen und kein noch so ausgetüfteltes pädagogisiertes „eigenverantwortliches lernen“ kann das wirkliche leben ersetzen, das in deutschland doch zunehmend nur simuliert wird. Das mit dem rauchen aber müsste noch mal überdacht werden. Ich schlage eine kampagne für volksgesundheit vor: rauchen, zähneputzen (ja, auch um die mundhygiene ist es hier schlecht bestellt, der stark gezuckerte tee und die abwesenheit jeglicher zahnbürste hinterlässt unschöne spuren schon auf den zähnen der jüngeren) und die benutzung von kondomen. Die ersten kampagnen zu hiv/aids sind ja wohl eher nach hinten losgegangen. Die plakate („nein zu unehelichem geschlechtsverkehr“ – wirklich, kein schlechter scherz!) können, wenn es hart auf hart kommt, die verbreitung eines virus sicher nicht stoppen. aber vermutlich ist es einfacher, in einem muslimischen und konservativen land zahnbürsten zu verteilen, als kondome.

Mittwoch, 12. Mai 2010

schiefe vokabelkarten, blondiertes brusthaar und geheime informationen

Beim sport steige ich das erste mal hinter das prinzip, wie das mit den schränken und dem schlüsselbrett funktioniert. Anscheinend hat jeder, der es will und braucht (ich also nicht, da ich nah genug wohne, die drei minuten im peinlichen trainingsdress zurückzulegen) ein kleines schrankfach. Den schlüssel zu diesem fach, in das man seine persönlichen dinge einschließen kann aber hängt man dann neben der tür an ein schlüsselbrett, anstatt ihn, wie man es sicher in europa machen würde, mitzunehmen. Das ist doch auch komisch, oder? Da müsste man die schrankfächer ja gar nicht abschließen. Schließlich kann sich jeder den schlüssel nehmen, und das fach ausräumen. Scheint aber niemand zu tun. Sonst hätte man das verfahren sicher schon geändert. Das erinnert mich an die situation, in der ich hier vor einigen jahren mal einen wagen gemietet habe. Mir war kurz zuvor in tunesien ein mietwagen gestohlen worden (unangenehme situation, die ich hier jetzt nicht ausbreiten möchte). Daher war ich etwas skeptisch, als ich auf allen seiten des mietwagens einen „rent a car“-aufkleber sah, denn ich wusste, dass mietwagen (wegen ihrer meist hilf- und orientierungslosen insassen) gerne gestohlen werden. Auf meine diesbezügliche nachfrage antwortete mir der mitarbeiter der vermiet-agentur, dass man den wagen ja nur mit diesem schlüssel (und er hielt mit pathetischer geste einen normalen autoschlüssel in die luft, als sei es eine besondere errungenschaft), ja nur mit diesem schlüssel öffnen könne! Daher sei diebstahl gänzlich unmöglich. Da wusste ich, dass das in syrien wirklich absolut kein thema war. Beruhigend. Weniger beruhigend waren heute im sporstudio die aktuellen männer-haarmoden: blondiertes brusthaar (scheußlich!) und geglättetes krauses kopfhaar (erst dachte ich, da führt jemand den hund spazieren). Die fashon-police hat offenbar versagt!

Es hat sich hier inzwischen rumgesprochen, dass ich aus deutschland komme. daher werde ich oft gefragt, aus welcher stadt ich käme. Aus bonn? Warum bonn? Weil es die hauptstadt war. (das mit der wiedervereinigung spricht sich nur mühsam herum – immer noch wird man gefragt, ob man aus ost- oder westdeutschland komme.) es ist lustig, dass eine stadt wie bonn, die für uns so ganz aus dem bewusstsein verschwunden ist, hier noch als (ehemalige) hauptstadt weiterhin bedeutung hat. Ja, was sind schon 20 jahre, wenn man 6000 jahre geschichte unter seinem arsch hat? Was mich mehr erstaunt, ist, dass hier auch kinder (und ich meine kinder, so 8 bis 12 jahre alt) trainieren. Bei uns würde man die in die tobestunde aber nicht zum bodybuilding-training schicken, denn die sind ja noch im wachstum und das, was die hier tun, ist garantiert nicht gesundheitsförderlich für menschen im wachstum. Ebenfalls erstaunlich: einige mitglieder des studios kennen meinen namen, obschon ich ihnen den noch nie gesagt habe. Ja, die informationskanäle der geheimen... im park zum beispiel, wo ich mir am kiosk immer mein wasser oder einen saft kaufe, begrüßte mich vor einigen tagen der neue mitarbeiter auf deutsch. Er habe angeblich gesehen, dass ich deutscher sei. Das sieht man aber überhaupt nicht!!! Er hatte seine information ganz offenbar aus anderen quellen als meinem aussehen. Sie lassen einen an kleinen und unwichtigen stellen immer mal wissen, dass sie im prinzip alles über einen wissen.

Der versuch, kleine karteikarten für die vokabeln zu kaufen gelingt nur mäßig. Nicht, dass ich die 600 vokabeln kann, aber die 600 mitgebrachten karten sind beschrieben. So kleine karten finde ich hier nicht (und so akkurat geschnittene und mit linien bedruckte erst recht nicht). Die größeren, schlampig bedruckten und schief geschnittenen werde ich nun also noch mal von hand nachschneiden und zerkleinern müssen. Immerhin hat sich das verfahren des lernens per karten bisher bewährt. Was nicht heißt, dass ich heute beim arabischunterricht auch nur eine sache gekonnt hätte. Ich war kurz davor, mich aus dem fenster zu stürzen, wenn ich nicht kurzfristig eingesehen hätte, dass es für die nachbarn auch nicht schön ist, jemanden von ihrem wellblechdach wieder befreien zu müssen, der sich nach einem ungeschickten sturz über höchstens einenmeterfünfzig vermutlich nur eben den fuß verknackst hat. Und wenn man dabei eben nicht stirbt, bekommt man die ganze peinliche rettungsaktion ja auch selbst noch mit. Also habe ich contenance bewiesen und bin nicht zum fenster.

ein akt der sabbotage und schöne balletteinlagen der syrischen armee

Ein akt der sabbotage muss es sein, dass meine anzeige zum sprachunterricht zwar erschienen ist, aber mit einer falschen telefonnummer! Ich hatte – ich schwör auf alles alder! – die richtige nummer angegeben. Dann wurden einige wörter vertauscht, also die reihenfolge wurde verdreht, was wohl dem aufbau der schrift von links nach rechts geschuldet ist, womit die layout-abteilung der sonst in arabischer schrift gesetzten zeitung überfordert war. Das aber nicht schlimm ist, verstehen weil kann auch so man ja in reihenfolge falscher, oder? Schlimmer ist der dritte fehler. Die anzeige begann mit: „german teacher...“ gibt stunden undsoweiter. Aber das „german“ wurde vergessen. Nun bietet ein lehrer stunden in irgendetwas an. Natürlich muss ich bei aller bescheidenheit sagen, dass ich mich in vielem auskenne und sicher in der lage wäre auch stunden in anderen dingen zu geben. Dennoch ist damit ein entscheidender bestandteil meines angebotes (eben die deutsche sprache) unterschlagen worden. Gespannt wäre ich eher, wer auf eine solche anzeige antworten würde und was für stunden dann von mir verlangt werden könnten. Leider ist die nummer falsch... Nun wird sich die revisionsabteilung oder die reklamationsabteilung damit befassen müssen, wenn nicht der präsident persönlich. Auf jeden fall kamen heute – erstaunlicherweise – noch keine anrufe. Meine arbeitssaison geht also dann wohl erst eine woche später los...

Gestern hatte ich einen lasy day im park, wo ich mit einem achmed gelbpulli meine rudimentären arabischkenntnisse amelioriert habe, dann mit ihm zu ian gefahren bin. Der taxifahrer verwickelt uns in ein gespräch und meint dann, er sei bei der polizei. Immer diese ungeheimen geheimpolizisten. Hatte ich mir ob seiner visage aber eh schon gedacht, dass er bulle ist und natürlich nichts diskreditierliches von mir gegeben. Immerhin will er, als wir in mezzeh ankommen, kein geld annehmen – ja die geheimpolizei: we are only here to serve you!

Gestern abend sehe ich ali, der mir auf seinem handy erstaunliche videos der syrischen armee zeigt, auf denen halbnackte männer martialische balletteinlagen vorführen. So etwas bizarres habe ich noch nie – und ich betone noch nie! – gesehen. Es tun sich immer wieder erstaunliche dinge auf, wenn man mit anderen kulturen bekanntschaft macht. Und der hier weit verbreitete militarismus muss ja auch irgendwie homosexuell überhöht werden. Angeregt durch das video bekomme ich diverse geschichten von alis militärzeit erzählt, die er mir alle lebhaft vorträgt. Ich habe fast das gefühl, dabei zu sein. Das passt alles so gar nicht zu unserer kultur der konfliktvermeidung, aber ich habe das gefühl, dass da kanalisiert etwas ausgelebt wird, womit jugendliche bei uns vor dem computer allein gelassen werden. Mir ist das alles fremd, aber ich komme auch nicht aus einer region, in der man in den letzten jahren kriege hatte.

Ich weiß noch, wie mich der libanonkrieg 2006 in damaskus überrascht hat und wie von einem auf den anderen tag die ganze kriegsmaschinerie angeworfen wurde mit kriegslieder im radio, videos im fernsehen und neuen plakaten und fahnen überall. Wo jeder laden glaubte, er müsse mindestens einmal am tag laut die nationalhymne spielen und wo die menschen sich tatsächlich (und fast routiniert) auf einen krieg auch hier in damaskus vorbereitet haben, indem sie nahrungsmittelvorräte angelegt haben, medikamente zusammengetragen und geklärt haben, wie im falle eines stromausfalls die wasserversorgung im haus sichergestellt werden könnte (generatoren). Ich wusste bis dahin gar nicht, dass man für wasser strom braucht und dass man strom zum kochen oder heizen natürlich gut durch gasflaschen kompensieren kann, aber die wasserpumpe sich damit eben nicht betreiben lässt. Nun, lange rede – kurzer sinn: mir ist diese kriegerische kultur nicht geheuer und nicht vertraut, aber ich komme eben auch nicht aus damaskus, sondern aus deutschland. ali sieht das ganz anders und zeigt stolz videos, die nicht nur die schönheit (das ist wieder das, was ich sehe), sondern eben auch die kampfbereitschaft der syrischen armee belegen. Mindesten die entschlossenheit, denn ich bezweifle, dass im falle eines falles dieses schöne ballett die israelis beeindrucken würde.

echte brötchen, klinsmann-bmw-hitler und tolle trommeleinlagen

Nach dem sport (wenn ich später gehe ist es etwas leerer – vermutlich gibt es eine reihe übermotivierter, die ab neun zur arbeit müssen), gehe ich mit rafik ins knusper, das deutsche cafe zum späten frühstück. Mich gelüstete nach deutschen brötchen. Ich kann das fladenbrot nicht mehr sehen. Zumal es bei mir um die ecke nur das doofe, gewöhnliche gibt. Das etwas dickere, leckerere gibt es nur in scha’alan und am bab saruja, wo ich nie hinkomme. Und brötchen können die im deutschen cafe hier machen, da könnte sich der ein oder andere bäcker in deutschland eine scheibe von abschneiden. Draußen knusprig, drinnen saftig – wie man es auch bei jungs gern hat. Allerdings ist das frühstück (das neben den brötchen mit französischer marmelade, amerikanischem kaffee, holländischem käse und dänischer butter aufwartet) sündhaft teuer. Pro person einen durchschnittlichen tageslohn. Da ich für hiesige verhältnisse aber ja sehr reich bin, kann ich es mir so gerade leisten. Dann haben wir uns noch etwas in die sonne gesetzt und den tag vergammelt. Noch geht das, es ist noch nicht zu heiß.

Rafik geht am Nachmittag ins hamam und zum frisör, seine restlichen haare waschen, schneiden, legen (drei haare in sieben reihen). Ich mache artig arabisch-hausaufgaben und treffe mich dann mit ian, dem briten, den ich neulich mal im hamam kennengelernt hatte an der president-bridge. Er hat mehrere exchange-partner, mit denen er englisch-arabisch schnackt, bzw. stammelt, denn er meint, auch er mache keinerlei fortschritte. Das scheint ja auch eine möglichkeit zu sein und billiger als unterricht. Aber deutsch-arabisch ist natürlich seltener als englisch-arabisch. Und es muss in etwa passen – also vom niveau her meine ich. So dass der andere so gut/schlecht deutsch kann, wie ich arabisch spreche. Sonst bleibt man automatisch bei der sprache hängen, die beide am besten sprechen können (im zweifelsfalle englisch). Das problem ist: wenn ich leute kennenlerne, die etwas deutsch können, dann sind das meist so vollhonks, die das wegen klinsmann-bmw-hitler lernen. Und mit solchen typen dann ne stunde über „deutschland ist toll“ reden halte ich kaum aus. Englisch lernt ja jeder. Eben auch vernünftige menschen. Aber deutsch? Wäre ich franzose, ich hätte schon die besten kontakte in die französischsprachigen damen-salons der christlichen high-society gefunden, aber als deutscher?

Am abend mit freunden um den block gezogen. Im ali-pascha-cafe am merje gelandet, wo ein lustiges musikvideo lief. milham sein heißt der sänger, das lied: alouah. Habe sogleich um die ecke die mp4-cd dazu erstanden und kann es jetzt zuhause noch mal ansehen. Neben den obligatorischen szenen, die in keinem arabischen musikvideo fehlen dürfen (mann greift zum handy und ruft frau an, plastikträne auf gepuderter frauenwange und so), gibt es endlich mal wirklich lustige und bildstarke szenen. Eine großgruppe von männern und frauen in traditionellen und beeindruckenden trachten tanzt traditionelle und sehr wilde tänze (mit tollen trommeleinlagen). Dabei wirbeln sie mit schwertern herum. Soweit ja noch nicht außergewöhnlich. Aber die orte sind gut gewählt: vor der banque national du liban (einem schmucklosen 70er-jahre funktionsbau) zum beispiel, oder auf der baustelle zur neuen beiruter innenstadt. Am besten gefiel mir die 10-spurige straße, bei der sich hinter der tanzenden traditionsgruppe ein kliometerlanger stau entwickelt. Treffender kann man tradition und falsch verstandene moderne nicht miteinander konfrontieren. Ob es das video zum nachschauen auf youtube gibt, vermag ich leider (aufgrund syrischer zensurbestimmungen) nicht zu recherchieren.

Dann haben wir für mich eine anzeige aufgegeben, in der ich meine dienste als deutschlehrer offeriere. Es gibt hier mehrere gratis-blätter mit anzeigen. Alle kommen sonnabend raus. In einer haben wir die anzeige „geschaltet“ wie man wohl sagt. Auf englisch und auf französisch (denn wenn ich es auf arabisch getan hätte, hätte ich damit suggeriert, dass die telefonate zur anbahnung auch auf arabisch geführt werden könnten, was aber leider mitnichten so ist). dazu haben wir vorher noch eine extra telefonnummer besorgt. Die anzeige konnte man in einem musikladen in scha’alan aufgeben. Dort stand ein huhn mit einem kleinen block, auf den man handschriftlich (ich habe versucht in meiner schönsten sonntagsschrift zu schreiben, es wird aber sicher den einen oder anderen „transkriptionsfehler“ geben) seinen anzeigentext schrieb. Dann drückte man ihm das geld für die anzeige in die hand (keine quittung versteht sich) und das war’s. inscha’alah erscheint sie nun nächsten sonnabend.

deutschenwahn, wurstprodukte und hohenschönhausen für reiche

Bei meinem einkauf erstehe ich ein erstaunliches wurstprodukt mit dem namen bavaria. „real german taste – real halal meat“. Eine in damaskus hergestellte pepperoni-wurst, die sich mit einer deutschland-banderole schmückt. Der „real geraman taste“ ist mir in deutschland so noch nie begegnet. Vermulich ein weiteres kapitel das da heißt: von deutschland lernen, heißt siegen lernen – mindestens in fragen der ökonomie. Wenngleich ich gestern wieder eine dieser unerfreulichen „hitler war gut, denn er war gegen israel (!)“ – diskussonen hatte. Manmanman – da muss noch aufklärungsarbeit geleistet werden. Ich weiß nicht, wo ich anfangen würde, wenn nur mein arabisch besser wäre!

Am abend treffe ich michel. Wir fahren zu einem befreundeten französischen pärchen nach dumar. Das ist eine neue hochhaussiedlung vor damaskus richtung berg. Auch „new sham“ also neu-damaskus genannt. Wie sich der araber modernität vorstellt! Links ein hochhaus, rechts ein hochhaus und zwischendrin die autonahn. Toll! Es ist mit das teuerste, was damaskus zu bieten hat und auf meine entgeisterte nachfrage wird mir bestätigt, dass es auch so teuer sei, da man hier ja alles habe, man brauche nicht mehr in die stadt zu fahren. Und man habe einen schönen ausblick (auf andere hochhäuser und eben die autobahn). Und es sei (wenn kein stau sei) ja auch gar nicht so weit in die stadt. Ich meine wir haben in den siebzigern sicher auch städteplanerischen unsinn verzapft, wenn leute eigenheime auf die grüne wiese gebaut haben. Aber das hatte mindestens den vorteil dass es noch einen garten drumrum hatte. Aber in einer hochhaussiedlung vor der stadt, das kennen wir doch in europa nur von den banlieus oder aus mümmelmannsberg und hohenschönhausen. Und hier gibt es hohenschönhausen für reiche. Alle böden aus marmor! Zwei aufzüge. Zentralheizung! Geschmackloseste einrichtung! Und zwei dicke männer, die sich durch die 980 kanäle ihrer drei satellitenschüsseln zappen. Beides etwas bizarre franzosen, die hier leben (seit zwei jahren oder so) und die von damaskus noch nix – und man kann es wirklich sagen – noch gar nix gesehen haben. Eben weil sie hier leben und so viele tv-programme haben. Sie leben in einer vollkommen anderen welt. In den sportclub konnten sie nicht gehen, weil ihnen der swimming-pool zu klein (!) war. Bei meinem gibt es nichtmal eine dusche. Im prinzip kann man solche menschen in ein hochhaus mit satellitenschüssel setzen, wo immer auf der welt es gerade steht, ihnen einen marmorboden unter dem arsch verlegen und ihnen dafür viel geld abnehmen. Wir trinken ein, zwei cola zusammen, plaudern auf englisch (so lerne ich nie arabisch!) noch mal über dies und das und dann fährt michel mich wieder nach hause. Bzw. zur ecke in der nähe. Von dort sind es noch 400 meter zu meiner wohnung.

Für diese 400 meter brauchte ich heute eine stunde. Nicht weil ich so langsam ging, sondern weil ich ständig aufgehalten wurde. Erst sprach mich ein zwanzigjähriger informatikstudent (sehr niedliche dunkle knopfaugen) an, er habe mich deutsch sprechen gehört (ja, ich hatte gerade noch kurz mit rafik telefoniert) und er liebe deutschland über alles. Sein zimmer zuhause (in das er mich inscha’allah demnächst mal mitnehmen werde) sei über und über mit deuschlandpostern beklebt und er hatte sich auch über eine sprach-cd selbst einige sätze deutsch beigebracht („können sie etwas langsamer sprechen, ich habe sie nicht verstanden“ zum beispiel). Er und seine sechs freunde (auch alle ganz entzückend) sind alles meine direkten nachbarn. Einer kannte mich aus dem sportstudio (ich erinnerte mich aber nicht an ihn). So verging die zeit im austausch von nettigkeiten, vor allem eben über deutschland (viel gut), die deutschen (alle nett und clever) und die deutsche sprache (sehr schön aber eben auch sehr schwer) und im aussprechen der ein oder anderen einladung zum tee, zum essen oder einfach nur, um sich mal zu besuchen. Als ich mich gerade von ihnen verabschiedet hatte und um die nächste ecke bog, kam faruk, mein englisch sprechender nachbar vorbei. Er langweile sich zuhause (die beengten wohnverhältnisse treiben die jungen männer auf die straßen) und er schlendere daher eben so durch die gassen. Nun, so musste ich mich auch mit ihm noch zwanzig minuten unterhalten. Der reinste englischkurs heute!