Dienstag, 27. April 2010

stoische erwachsene, ignorierte kinder und ununterscheidbare laute

Nach ausschlafen, frühstück und wohnung putzen (waschen und wischen) fahre ich zum merje. im microbus fällt mit wieder auf, wie artig hier die kinder sind. Vorne sitzen drei jungs, die vermutlich in die vierte klasse gehen könnten, hinten auf dem schoß der eltern noch mal zwei kinder. Fünf kinder in einem öffentlichen verkehrsmittel, das wäre bei uns die hölle. Da wäre tamtam und geschrei und die eltern würden permanent auf die kinder einreden (sieh mal da hinten, ein minarett! nein kevin, lass das! Nimm die füße vom sitz! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass... und so weiter). hier sitzen die kinder ruhig und artig da, fast wie die erwachsenen. Manchmal etwas neugierig den fahrer beobachtend und sehr ernsthaft das geld und das zurückgehende wechselgeld weitergebend (immerhin sitzen sie vorne und haben daher diese aufgabe). Ich glaube die drei jungs waren sogar allein unterwegs. Kinder sind hier so etwas alltägliches, dass ihnen keine aufmerksamkeit geschenkt wird und das scheint ihnen gut zu tun. Sie orientieren sich an den erwachsenen, die vorgeben, wo es lang geht und wie sich verhalten wird. Und die erwachsenen geben das ganz ruhig und gelassen vor, ohne laut zu werden und bleiben, selbst wenn kinder mal schreien, stoisch ruhig.

Hier wollen die kinder ganz offenbar erwachsen werden (mit den dann auch mal negativen folgen, dass man achtjährige rauchend sieht – ein tragisches missverständnis). In deutschland werden die seltenen kinder wie kleine prinzen hofiert. Es wird nach ihrer nase getanzt und sie tanzen den erwachsenen dann auf der selben herum. In deutschland erleben wir eine infantilisierung der kultur und der lebensformen. Man will solange es geht kind, zumindest jugendlich bleiben. Die vergötterung der jugend löst in den jugendlichen wohl unbewusst das gefühl aus, der nabel der welt zu sein, um den sich alles zu drehen hat und die erwachsenen machen das auch noch mit. Hier gibt es (auch weil es wenige alte und viele junge gibt) so etwas wie achtung vor dem alter (hey, werde ich etwa doch noch konservativ? Ich höre mich ja schon an, wie meine eigene großmutter). Kinder und jugendliche leben sich in dieses schema hinein und versuchen, sich so zu benehmen, wie sie es von den erwachsenen vorgelebt bekommen. Ich finde es ausgesprochen angenehm, dass man kinder, obwohl es sicher zehnmal so viele davon gibt, wie in deutschland, kaum merkt. Man müsste sie in deutschland wohl auch einfach mal ignorieren und ihr ding machen lassen. (bin mit meinen zeitkritischen darlegungen offenbar erfolgreich im 19. Jahrhundert angelangt.)

Arabisch ist heute anstrengend. Wir klären noch mal (immer wieder!) die im arabischen vorhandenen und für mich nicht unterscheidbaren laute. Vier verschiedene s-laute, von denen ich mit mühe nur zwei voneinander trennen kann und diverse a-äh-laute, die sich alle sehr gleich anhören, aber sehr genau voneinander zu unterscheiden sind, da sie eben verschieden sind und unterschiedliche bedeutungen konstruieren (wie das bei sprache eben so ist). dann noch mal kurz einkaufen, was hier ja immer erfreulich ist. dem obsthändler sage ich, dass seine billigen orangen deutlich besser schmecken, als seine teuren (ich hatte nämlich jeweils zwei kilo gekauft und sie vergleichend probiert – clever!). daraufhin schenkt er mir noch mal drei der billigeren (und besseren) orangen. Das freut einen. Ja, es muss auch einen lohn für die evaluation des obst- und gemüsefachhandels geben. Enttäuschen tut mich nur die neue apotheke (die vierte in der straße), die weder richtig weiß, was aspirin ist, noch es im angebot hat (das ist hier sonst – ähnlich wie in deutschland – ein standardmedikament). So sage ich der apotheke keine rosige zukunft voraus, denn die konkurrenz ist hart. Auf dem rückweg begrüßen mich vier herumlungernde jugendliche mit „welcome to syria!“ nach monaten in diesem viertel, immer wieder eine freude! Ich fühle mich wirklich willkommen.

aufdringliche gesten, eine ordre mufti und der souk der kurzen wege

Spätestens, wenn einem das erste mal die hacken abgefahren worden sind, fällt einem auf, dass man in aleppo deutlich stürmischer auto fährt, als in damaskus. Priorité au voiture scheint der aleppiner zu denken. Schließlich hat man noch was vor und nicht den ganzen tag zeit, wie in damaskus. Die stadt entfaltet – obschon deutlich kleiner als die kapitale im süden – eine hektische betriebsamkeit par excellence. Fußgänger, insbesondere wenn sie versuchen, die für die kraftfahrzeuge bestimmten fahrbahnen zu überqueren, stören da nur. Wir schaffen es dennoch (nach einer von mücken versummten nacht und einem klassischen hotelfrühstück im baron) heil den souk zu erreichen, der einer der schönsten der arabischen welt zu sein scheint. Allerdings ist hier alles durcheinander. Nicht in gewerbe geteilt (hier die goldschmiede, dort die schlachter), nein: damenmoden neben der kamelschlachterei, die mandelrösterrei gegenüber dem schreibwarenladen. Das kann praktisch sein (souk der kurzen wege, wenn man zum beispiel einen neuen dress und noch etwas kamel-innereien fürs frühstück braucht), aber auch ganz schön anstrengend (wenn man versuchen muss, bei der anprobe des neuen kleides nicht im kamelblut auszurutschen).

Die zitadelle ist prächtig und vor allem sehr groß. Wir irren in der Mittagssonne dort lange umher und brauchen daher sogleich eine erfrischung. In den cafes am fuße der zitadelle hühnert viel personal herum, dass aber so in etwa alles falsch macht was man in der branche falsch machen kann. Ich würde, anstelle der fünf unfähigen und vermutlich unterbezahlten hühner lieber einen anständigen garcon einstellen, der sein handwerk versteht und noch einen funken professioneller ehre besitzt. Nachdem man zu laut und durch aufdringliche gesten (aber leider ohne jedes lächeln) auf seinen platz bugsiert worden ist, wird eine hektische betriebsamkeit entfaltet, als ob man mit einer kompleten reisebusladung eine großbestellung kompliziertester speisen aufgegeben hätte. Dabei wollten wir nur wasser, einen tee und zwei kaffee. Das bestellte wird spät und nicht gleichzeitig gebracht. Die rechnung ist vollkommen überteuert und die kellner (wenn man sie so nennen kann), haben auf ihren mobiltelefonen ihre musik (zu laut und schlecht) laufen und nerven damit die gäste. Entnervt gehen wir nach kurzer zeit weiter.

Als wir ins christliche viertel fahren wollen, finden wir kein taxi, das uns mitnehmen will. Es scheint das gleich phänomen, wie in damaskus zu sein, dass alle zu einer bestimmten zeit schichtwechsel haben und nur in eine bestimmte richtung wollen (meist nicht diejenige, in die wir müssen). An einem laden bietet uns ein gutaussehender verkäufer mandeln an, die ich aber nicht annehme, da ich sie nicht mag. Aber ich will ein wasser kaufen. Er gibt es uns, und besteht darauf, kein geld nehmen zu wollen. Als rafik ihn fragt, in welche richtung wir zum christlichen viertel müssen (rafik fragt überhaupt immer alle – vor allem hübsche jungs – allesmögliche, ob nun nötig oder nicht. Wenn jemand nach dem weg gefragt wird, werden bei ihm gleichzeitig noch erkundigungen eingezogen, ob der ort, zu dem man gerade möchte, und zu dem man sich den weg gerade hat erklären lassen, ob der denn nun den weg lohne, schön, wichtig und richtig sei und so weiter. Jeder polizist wird gefragt, was er uns denn von der karte des restaurants nebenan empfehlen könne). Der verkäufer also springt aus seinem laden hervor, hält ein taxi an und bedeutet ihm, uns zu fahren. Das erste taxi kann sich noch rausreden, das zweite wird per ordre mufti angewiesen uns zu befördern, denn – so stellen wir gerade fest – der verkäufer ist ein mitarbeiter des geheimdienstes, der ja so geheim nicht ist, wenn er es gleich verrät. Und damit scheint er die autorität und befugnis zu haben, sich um so wichtige dinge, wie die ordnungsgemäße beförderung von touristen mit dem taxi zu kümmern.

Die rückfahrt aus aleppo gestaltet sich ganz anders, als die hinfahrt. Wir haben den modernen und schnelleren zug gewählt. Am bahnhof hält der ansager – einem conferencier gleich – mit einem schnurlosen mikrofon in der mitte der bahnhofshalle stehend eine begrüßungsrede. Mit sonorer, angenehmer stimme heißt er alle willkommen und wünsch eine gute reise. Man solle nichts vergessen und beim einsteigen in den zug vorsicht walten lassen. Da fühlt man sich doch gleich willkommen! Im zug wird uns allerdings der preis der modernität des zuges klar: das personal agiert in der kühlen professionalität der distingtion. Weder charmantes lächeln, noch ausgesuchte freundlichkeit. Dafür kopfhörer, bonbons, plastikbecher (zwei mal, allerdings nie etwas zu trinken dafür), zeitungen und permanente musikberieselung, die uns nach drei stunden zum wahnsinn treibt. Erstaunen tut mich die durchsage, dass es verboten sei zu rauchen (sehr gut!) und sich die schuhe auszuziehen (!). Was auch etwas wundert, ist die reisezeit. Wo der mittelschnelle zug fünf stunden und zehn minuten gebraucht hat, braucht der schnellere fünf stunden und dreißig minuten! Wir hätten den langsamsten nehmen sollen, vermutlich schafft der die strecke in vier stunden.

tutende züge, serviceorientierte bahnbeamte und keine entgleisungs

Nach meiner nunmehr ersten zugfahrt mit der staatsbahn cfs muss ich feststellen, dass das bahnreisen in syrien nicht implementiert ist. der bahnhof ist – für eine 6-millionen-metropole – provinziell und es ist wenig los. Viele junge männer, einige auch recht gutaussehend. Pünktlich um fünfzehn uhr zehn fährt der zug mit durchgehendem getute ab. Recht viele leute bleiben am bahnhof sitzen, obschon der zug nun fährt. Da der nächste zug erst sechs stunden später geht, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie auf den warten werden. Handelt es sich um trainspotter? Die sitze sind äußerst bequem! bei der innengestaltung wurde viel wert auf kleine details gelegt. Jeder sitz hat eine holzverschalung, ein tablett, ist aufwendig geformt und kann in eine liegeposition gebracht werden. Überhaupt wurde ungemein viel material verbaut. Es scheint nur erster klasse wagons zu geben (wohl eine Remineszenz an die sozialistische vergangenheit). Die wagons sind zu etwa einem drittel gefüllt. Schon kurz nach der abfahrt kommen drei kontrolleure! Einer kontrolliert. Ein weiterer steht daneben und könnte im falle, dass ein fahrschein an bord gekauft werden müsste, diesen ausstellen. Ein dritter hat dann die verantwortungsvolle aufgabe, die kontrollierten fahrkarten zu entwerten, indem er sie mit der hand zerreißt. Das bordrestaurant, in dem einige hasen arbeiten, verdient strenggenommen seinen namen nicht, denn es gibt nur tee und kaffee. Immerhin denken wir, wir sind ja im schnellen zug und werden pünktlich zum abendessen in aleppo sein. Aber da hatten wir die rechnung ohne die syrische staatsbahn gemacht. Denn kurz darauf bricht unklarheit darüber aus, in welchem zug wir nun eigentlich sitzen. Auch das anwesende personal kann dazu nur unklare angaben machen. Der zug sei schnell, aber nicht sehr schnell, aber eben auch nicht langsam. Er brauche – heißt es vier, nein fünf, nein doch eher sechs stunden. Einen fahrplan scheint es nicht zu geben und wenn, dann ist er den bahnangestellten nicht bekannt. Zum glück entschädigt die aussicht. Die Landschaft ist wunderbar grün hier, herrlich orientalisch-wüstig dort. Kinder und jugendlich winken dem zug zu (wo sieht man das in deutschland schon mal?). die Serviceorientierung der staatsbahn ist ungeschlagen. Nicht nur, dass permanent angestellte durch den zug gehen, die nächsten stationen ansagen, einem wasser holen, kaffee bringen oder taschentücher reichen, nein, sie sind auch für gemeinsame fotosessions zu haben und schakern mit einem herum, halten die gäste bei laune. Die stimmung ist gut. Man plaudert, teilt getränke und lernt sich kennen. Ziemlich direkt macht uns einer der arbeiter an. Wir tauschen nummern, machen fotos, schakern so herum. Da vergehen die stunden wie im fluge! Wenn die bahn fährt, ist sie tatsächlich schnell. So schnell, dass man hofft, dass die entgleisungen zu ehren von karl marx um fünfzig prozent gesenkt werden konnten, denn die gleise sind furchtbar ruckelig und man wird hin und her geschaukelt. Aber man fährt eben oft gar nicht, sondern wartet, dass ein entgegenkommender zug an einem vorbei gefahren ist. die strecke ist eben leider nur eingleisig.

Angekommen wird versucht, gleich eine rückfahrkarte zu erwerben, was nicht so einfach ist, denn der aleppoer, alepper oder aleppiner ist gut organisiert, was sich vor allem daran zeigt, dass die tickets in verschiedene destinationen an den jeweils unterschiedlichen schaltern in jeweils anderen räumen verkauft werden. So muss man sich an einem schalter erkundigen, wann ein zug fährt, an einem weiteren seinen pass (mit namen der eltern!) registrieren lassen, um die berechtigung zum erwerb einer bahnfahrkarte zu bekommen. Dann kann man zum fahrkartenschalter (aber bitte dem richtigen!) gehen, wo man erstaunlich günstig die rückfahrkarte erwerben kann. Aus dem bahnhof herausgetreten nimmt einen die anmut der stadt sofort in den bann. Wir fahren zum baron hotel, wo wir standesgemäß logieren. Rafik bekommt als syrer das zimmer für nur ein viertel des normalen touristenpreises, den unsereins berappen muss. Das restaurant, in dem wir sogleich unseren hunger stillen, hat alkoholausschank, was auch heißt, dass sich dort allerlei halbweltgestalten treffen. Aber das essen ist hervorragend! Danach schleichen wir noch ein stündchen durch den menschnleeren park und einige straßen. Viele cafes, hotels und restaurants. Zur burg werden wir die nächsten tage gehen. Und inscha’allah ins hamam!

tertiärer sektor à la syrienne, ticketkauf und blumen überall!

Auf dem weg zum hamam fällt mir die absurdität der für den geheimdienst arbeitenden straßenhändler auf. Im prinzip kann man davon ausgehen, dass alle straßenhändler mindestens als informanten für den geheimdienst arbeiten. Sonst würde man sie ihren geschäften nicht in ruhe nachgehen lassen. Sie sind also als straßenhändler getarnte geheimdienstler oder geheimdienstler mit einem nebenerwerb als straßenhändler. Nun warnen aber eben diese geheimen straßenhändler andere, illegal arbeitende straßenhändler, die von der polizei vertrieben werden würden, wenn sie bei ihrer tätigkeit erwischt werden würden, vor der polizei. Sie geben ihnen ein zeichen zu verschwinden, wenn die für die unterbindung des straßenhandels zuständigen ordnungskräfte anrücken, so dass jene ihre waren in sicherheit bringen können um sie vor der konfiszierung zu bewahren. Vermutlich bekommen sie dafür von den illegal operierenden straßenhändlern sogar auch noch einen obulus. Ja, tertiärer sektor á la syrienne...

Am späteren nachmittag kaufen wir am hijaz die tickets für die zugfahrt morgen. Es ist kein wunder, das die syrische bahn keine rolle spielt und alle welt mit dem bus reist. Der schalter ist gar nicht erst besetzt, der mitarbeiter kommt aber nach einigen minuten aus dem foyer (er hatte uns schon lange gesehen) angeschlurft. Die züge fahren mitnichten zu den zeiten, die uns gestern bei der auskunft mitgeteilt wurden, sondern eben ganz wannanders. Daher müssen wir umdisponieren. Wir wollen drei tickets kaufen. Für den zug um zwölf. Man bedeutet uns zuerst, wir sollten dann doch morgen zwischen zwölf und eins kommen (welcher logik das entspricht blieb uns verborgen, denn zumindest nach zwölf wäre doch unter normalen umständen davon auszugehen, dass der zug, der um zwölf fahren soll schon weg ist). wir bestehen auf einen sofortigen kauf und stellen fest, dass der zug um zwölf mitnichten mittags, sondern in der nacht fährt. Was ein pech! Also den um drei. Der beamte (oder eben bahnangestellte) begibt sich nachdem dieses beratungsgespräch im foyer geführt worden ist, auf seinen arbeitsplatz hinter dem schalter. Tatsächlich druckt er dann auch drei karten aus! Wir haben ganz offenbar nun also drei zugfahrkarten für den dreiuhrzug morgen. In der ganzen zeit unseres aufenthaltes will nicht ein weiterer mensch auch nur eine zugkarte kaufen. Damaskus hat sechs millionen einwohner und dies ist der schalter des bahnhofs, der im stadtzentrum gelegen ist. manchmal ist man schon etwas erstaunt.

Auf dem weg zum internetcafe sehe ich, wie überall schöne blumen gepflanzt werden. Überhaupt wird der öffentliche raum hier gehegt, gepflegt und aufgehübscht, was das zeug hält. Nachdem die mauern um parks entfernt, fast alle gehwege im zentrum neu gepflastert und viele plätze neu gestaltet wurden, hat man nun begonnen die hässlichen fußgängerbrücken wieder abzubauen (die man erst drei bis vier jahre zuvor aufgebaut hatte) und absperrgitter abzusägen (die fußgänger von betreten der fahrbahn abhalten sollten, sich aber manchmal nur als tragische stolperfallen entpuppten, denn selbstredend sind die fußgänger über diese herübergeklettert und dann mitten auf der fahrbahn tragisch verunglückt). Jetzt bekommt die verkehrspolizei noch schöne weiße häuschen mitten auf alle kreuzungen gesetzt und es werden eben allerorten blumen gepflanzt. Ja, damaskus – ville fleurie!

Nun, die nächsten tage ist ein weiterer kleiner ausflug geplant, der uns diesmal in die schöne stadt Aleppo führt. Danach kann ich wohl wieder was berichten...

Sonntag, 11. April 2010

unseriöse etablissements, suchtprobleme und perrier mit limonenaroma

Gestern abend gehe ich zusammen mit einigen freunden ins karnack. Dieses etablissement gilt als eines der unseriösesten der stadt! Als „restaurant“ getarnt im ersten stock gelegen, möchte man nicht wissen, was es dort zu essen gäbe. aber alle trinken eh nur bier. Die dosen (vor allem die leeren) werden auf dem tisch stehengelassen. Nicht so sehr um damit anzugeben, denn die verfassung einiger herren (es sind fast ausschließlich herren anwesend) lässt nach wenigen schlucken schon zu wünschen übrig, sondern mehr, um dem kellner bei der erstellung der abschließenden rechnung behilflich zu sein. An manchen tischen stapeln sich allerdings so erstaunliche berge an dosen, dass sie einem pfandsammler in deutschland zu glücksgefühlen und reichtum verhelfen würden. Die überwiegende mehrheit der anwesenden ist dem gleichen geschlecht zugeneigt, wenngleich sich immer auch touristen hierhin verirren, die in einem reiseführer gelesen haben, dass man hier bier trinken gehen kann. Und solche orte gibt es in damaskus ja nicht so oft. Im christlichen viertel noch den einen oder anderen, aber in diesem teil der stadt ist es abseits eines hochpreisigen restaurants mit weinausschank kaum möglich, gesittet an alkohol zu kommen (wenn man bei diesem laden von gesittet reden kann). Die luft ist rauchgeschwängert und ab und zu durchziehen schwaden von frittierfett-geruch den raum. Es scheint also doch eine küche zu geben. Einige tunten sind unter den gästen, die hier wohl versuchen den einen oder anderen betrunkenen scheich abzukriegen. Wohl auch viel stammpublikum. Manche sehen zumindest so aus, als ob sie mit einem suchtproblem zu tun hätten.

Überhaupt genießen ja läden, in denen alkohol getrunken werden kann hier einen ausnehmend schlechten leumund. Fast gar so schlecht, wie bei und etwa eine fixerstube. Davon lassen wir uns allerdings nicht abschrecken. Wenngleich wir bis auf zwei ausnahmen alle wasser oder cola bestellen (wohl sehr zur enttäuschung des kellners, der sicher mit uns schon das geschäft seines lebens gewittert hat). Da es sehr laut ist (die lautstärke stiegt proportional zum betrunkenheitsgrad des anwesenden volkes), verlassen wir irgendwann den laden und gehen in den am hijaz liegenden teegarten. Dort ist auch die luft besser und schwule gibt es hier auch reichlich. Das ist ja das schöne an damaskus: manchmal hat man das gefühl, hier sei sodom und gomera! Zu spät ins bett, da wir dann auch noch im park ne runde gedreht haben. Vergnügungssüchtiges volk, wir!

Im knusper , dem deutschen cafe, die gewohnt unaufmerksame bedienung. Obschon personal reichlich vorhanden ist, weiß offenbar die eine hand nicht, was die andere tut. Unsere bestellung (ein perrier (!), ein wasser, ein kaffee und ein espresso) überfordert die servicefachkraft hoffnungslos. Vermutlich war es gar nicht die servicefachkraft, der wir unsere bestellung aufgegeben haben, dämmert uns da, sondern nur derjenige, der dafür zuständig ist, uns die tischunterleger (mit berlitz-sprachschul-werbung!) hinzulegen. Ein anderer ist verantwortlich, uns eine flasche wasser zu bringen, ein dritter die telefonbuchdicke karte (mit snickers-cafe-latte und double-fudged-whithe-chocolate-cappuccino und solchen schweinereien). Dann kommt der vierte für die bestellung. Na endlich! Anstatt einen mitarbeiter zum staubwischen auf den verdreckten tischen abzustellen, stehen sich die restlichen kellner die beine in den bauch. Aber auf den tischen müssten ja auch erstaunlich viele werbe-aufsteller hochgenommen werden, wenn man sie abwischen wollte. Hier wird (unpassender und unappetitlicher geht es kaum) für eine gesichts-abdeck-creme geworben. Endlich kommen die getränke. Leider gibt es (das wäre ja auch zu einfach!) kein perrier ohne limonen-aroma. Die milch zum kaffee wird in einem kleinen schiffchen serviert (bzw. es wird der versuch unternommen) . aber sie schwimmt schon zur hälfte auf dem tablett des kellners. Es ist eh eine so mikroskopische menge, dass ich drei mal milch nachbestellen muss. Das scheint hier ein besonders kostbares gut zu sein! Die anwesenden gäste scheinen verpflichtet, ein mac-book auf ihrem tisch stehen zu haben. Nirgendwo ist die laptop-dichte größer. Und fast alles mac-books. Dabei gibt es in ganz damaskus keinen mac-händler. Sehr praktisch, wenn die mal kaputt gehen (was ja aber zum glück nie passiert).

bahnhöfe ohne züge, sinkende importzölle und ein bodybuilding-museum

Gehe gestern das erste mal zum sport. Wie schon festgestellt, handelt es sich um ein kleines, stinkiges und mäßig ausgestattetes studio, in dem dann für die zeit doch recht viel los ist. und wie schon jahre zuvor, als ich mich mal in einem sportstudio hier in damaskus verdingte, merke ich sofort, dass es eine offenbar weltweite sportstudiokultur der unfreundlichkeit gibt. Ich finde es ja in deutschland immer schon komisch, wenn man menschen, denen man regelmäßig begegnet, auf die man noch dazu zum beispiel in der umkleidekabine oder unter der dusche trifft, einen nicht grüßen oder einen gruß nur widerwillig erwiedern. Hier aber, wo menschen sich überall (wie ich hier nun feststellen darf eben mit ausnahme der sportstudios) freundlich begegnen, sich mit komplimenten und herzlichem tagtäglich überschütten, mutet es noch um vieles merkwürdiger an, wenn man dann auf so muffelige bodybuilder stößt. Vielleicht glauben sie, ihre (ich unterstelle das mal) angekratze männlichkeit, die sie durch muskelberge aufpolieren müssen, brauche zudem noch eine unfreundliche art, um wirklich männlich zu sein. Nun denn, ich muss sie ja nicht heiraten. Und entschädigt werde ich durch das interieur. Trophäen diverser wettbewerbe und bilder der idole aus den achtziger jahren. Die plakate der sport-revue von 1981 hängen aus! Ein bodybuilding-museum!

Die reisebüros, in denen wir uns wegen einer avisierten istanbul-reise mit dem zug (!) erkundigen wollen winken ab: die züge seien staatlich und da müssen wir zum hijaz-bahnhof gehen und uns dort erkundigen. Da waren wir aber schon vorher. Dort trafen wir auf eine private telefonate führende angestellte, die uns zehn minuten ignoriert hat um uns dann einsilbig zu erklären, dass sie auch nichts wisse, man solle zur türkischen grenze fahren und sich dort erkundigen (!!!). ja, wie gesagt, die bahn ist staatlich (was nicht heißt, dass sie besser wäre, wenn sie privat wäre, was aber heißt, dass sie eben wohl so schlecht funktioniert, wie eine behörde hier eben funktioniert). Nun werden wir uns erstmal auf den weg zum weiter außerhalb gelegenen bahnhof machen, bei dem die züge fahren, denn der hijaz-bahnhof ist ja sozusagen nur noch ein rudiment, ein überbleibsel aus besseren zeiten der bahn. Es fahren hier schon seit jahren keine züge mehr, da auf dem alten gleisbett ein einkaufszentrum errichtet werden soll. Das aber ist seit ewigkeiten in planung und es sieht ganz so aus, als ob es dazu so schnell nicht kommen wird. Wir werden uns also in kadam (dem bahnhof mit zügen) erkundigen müssen. Es gibt nämlich sehr widersprüchliche angaben zu zugverbindungen von damaskus nach istanbul. Einige menschen berichten, dass es einen durchgehenden zug gäbe. Das ist aber wohl schon jahre nicht mehr so. dann gibt es andere, die behaupten, man müsse drei mal (wo, da widersprechen sich die angaben) umsteigen, aber die züge seien eben nicht aufeinander abgestimmt und es könne passieren, dass man dann an der grenze oder an einem anderen ort mal so zwei oder drei tage (!) warten müsse. Die züge fahren eben teils nur zwei mal die woche. Das alles spricht dafür, vorher gründliche erkundigungen einzuziehen. Aber mit dem zug soll’s schon sein, das ist viel romantischer als eben mal nach istanbul zu fliegen und deutlich bequemer als zwei tage lang in einem engen, miesen reisebus zu sitzen.

Dann kurz im beit zaman einen kaffee getrunken und ab nach hause, wo mein arabischlehrer schon auf mich wartete. Der stau wird wirklich immer unglaublicher und man braucht inzwischen fast doppelt so lange, um von a nach b zu kommen, als noch vor zwei oder drei jahren. Syrien hätte dieser verdammten wto nicht beitreten sollen und die horrenden importzölle auf autos noch erhöhen sollen! Ich weiß nicht, wann die menschen es hier merken, aber mit einem auto kann man sich hier gar nicht mehr fortbewegen!

Freitag, 2. April 2010

abrissarbeiten, nächtliche anrufe und knatternde ampelanlagen

Wache heute morgen durch beharrliches gehämmere auf, das auf abrissarbeiten hindeutet. Die bautätigkeit hier erreicht immer neue höhepunkte, dabei ist das viertel eigentlich schon dicht bebaut. Aber im laufe der letzten zwei monate wurden mehrere kleinere und ältere lehmhäuser dem erdboden gleichgemacht, um an ihrer stelle schönere, und vor allem höhere häuser aus beton zu bauen. Manchmal aber auch werden nur kleine, wackelig aussehende räume auf die dächer schon bedenklich wackelig dastehender älterer häuser gesetzt. So wuchert raum um raum zu einem amorphen gebilde aus stein, lehm, wellblech und stahlstangen, die dem ganzen halt geben sollen. Wie dem auch sei, seit heute morgen um neun (immerhin) wird fleißig gehämmert. Mal mit dem vorschlag-, mal mit dem presslufthammer, dass der boden unter meinen füßen bebt. An schlaf – insbesondere ausschlafen ist da gar nicht zu denken!

Gegen zwei uhr in der nacht rief noch mein sprachlehrer an, um einen termin zu bestätigen. anders als in europa scheint es hier keine grenze zu geben, bis wann man anrufen kann. Das hat mich schon immer stutzig gemacht, wenn ich zu später stunde bei rafik anrief und seine frau mich dann bat, in zwei stunden – gegen ein uhr nachts – noch mal anzurufen. Dafür kann es meiner meinung nach drei gründe geben: zum einen könnte man schlicht verlangen, dass derjenige, der nicht angerufen werden will, sein telefon einfach aus- oder leisestellt. Zum anderen kann es ungebrochene begeisterung für moderne kommunikationstechnik sein und als drittes mag es eine haltung sein, mit der man hier auch unangemeldeten besuch zu jeder zeit herzlich willkommen heißt. Ich vermute, es ist der dritte grund, warum man hier gern auch mal nachts angerufen wird.

Dann mal wieder mit rafik ins cham-city-center um schokolade für seine frau und danette für mich zu kaufen. Ich gebe ein heidengeld aus! Zum einen, weil ich in einen laden gehe, um danette zu kaufen und mit fünf einkaufstüten voller kram rauskomme (danettes sind nicht darunter, die waren gerade aus! Dafür chips mit dem geschmack französischen käses (!) und erdnussbutter mit honig). aber auch, weil die preise steigen und steigen. ich verliere schon die besinnung, so teuer ist das teils. Als wir zwischendurch einen kaffee trinken gehen, rechne ich um, dass ich für zwei normale kaffee mit milch über sechs euro bezahlt habe (und man hat mich nicht betrogen!). wer soll sich das hier leisten können? Auf dem einkaufstripp merke ich durch ein beständiges, mich begleitendes knattern, dass man die ampelanlagen, nachdem man nun fast überall die rückwärts zählenden sekundenanzeiger angebracht hat, mit geräuschanlagen für blinde ausgestattet hat. ich war bisher immer davon ausgegangen, dass blinde ein besseres hörvermögen haben, als sehende. Die produzenten dieser knatteranlagen scheinen aber vom gegenteil auszugehen, denn diese knattern dermaßen laut, dass man es weithin hört. Ein enerviertendes knatatatata begleitet einen auf schritt und tritt. Im park üben jugendliche ungeschickte break-dance-figuren. Ja, die globalisierung macht auch hier nicht vor der jugend halt. Sie sprechen mich gleich an, ob ich nicht auch break-dance könne (wo denken die hin?), da ich ja schließlich aus europa sei und dort sei das ja sehr verbreitet. Nun, wir fahren ja auch nicht alle bmw oder mercedes...

Am abend noch mitglied in einem sportstudio geworden. In einem kleinen stinkigen, denn das hat den vorteil, dass es drei minuten von mir entfernt liegt. Es war unglaublich voll! Auf 40 quadratmetern haben cirka 40 leute trainiert. Das gibt einem das richtige sardinendosen-feeling. Angeblich ist morgens, wenn ich hingehen will, nix los. Inscha’allah! Ein Vertrag oder ähnliches musste nicht gemacht werden. Man zahlt einfach umgerechnet 10 euro und geht einen monat lang hin. Punkt. Sehr einfach und unkompliziert. So werde ich also ab morgen meine bemühungen fortsetzen, dem verfallsprozess meines welcken fleisches entgegenzuwirken.

späte kinobesucher, skandalöse sexszenen und mutige kulturminister

Am abend gehen wir mal ins kino. Der neue almodovar! Der neue (naja, so neu ist er ja nicht mehr – aber es ist der letzte von ihm)! In damaskus! Ich war reichlich erstaunt. Zerrissene umarmungen – los ambrossos rotos oder so. Auf spanisch. Mit englischen untertiteln (sonst hätte ich das auch nicht gemacht). Also man MUSS almodovar ja im spanischen original sehen. Der kinobesuch hier ist ja ein ganz anderes soziales ereignis als in deutschland. Nicht nur, dass es einige gibt, die sich an das rauchverbot nicht halten und das wichtige telefonate gerne nebenbei geführt werden, auch kommt man hier tatsächlich gern zu spät. Das ist sonst in syrien ja nicht üblich. Man ist hier normalerweise oberpünktlich. Bei verabredungen zum beispiel wird man schon nach zwei minuten verspätung angerufen, wo man denn bleibe. Ich glaube, dass das ein erbe der diktatur ist, wo es eben eher gefährlich ist, wenn man zu lange an ecken rumsteht, da man sich damit verdächtig macht. So sind also normalerweise immer alle pünktlicher als in deutschland. Nur nicht beim kinobesuch. Da kommt man gerne mal etwas später. Das wäre ja auch nicht so schlimm, wenn es einen werbeblock gäbe, aber den gibt es nicht. Der film fängt sofort an. Auch vorfilme sind offenbar unbekannt. Der film aber startet auf die sekunde genau. So bekommt die hälfte der gäste den anfang des filmes nicht mit und die andere hälfte auch nicht, da durch das kommen eine gewisse unruhe entsteht. Der film aber kam prächtig an!

Ganz anders als ein anderer film, den ich mal im rahmen eines filmfestivals in damaskus gesehen hatte (bei meinem letzten aufenthalt). Der film war der schocker! Der festivalleitung musste man wirklich respekt vor ihrem mut zollen. Moderner film, also keine handlung, keine höhepunkte, viele ergebnislose und verworrene dialoge, keine filmmusik, lineare erzählform ohne jede spannung – eher anstrengend zu sehen (www.alle-anderen.de). Aber eben sehr (post-)modern. Es ging um ein (unverheiratetes! – hier schon mal undenkbar) paar, das in sardinien im haus der mutter urlaub macht, dabei die ganze zeit über freiberufler-projekte lamentiert und mit dem leben so richtig unzufrieden scheint, das ständig nackt durch die gegend rennt und das die ausgeprägten beziehungsprobleme vor allem durch sex „löst“. die hälfte des publikums ist gegangen! Es waren auch jugendliche anwesend! ich meine ich hätte den film vielleicht ab 16 freigegeben aber auch nicht in schulklassen mit pubertierenden gezeigt, denn die sex-szenen waren recht explizit. In europa sieht man so was schon mal, aber hier geht ja eine nackte frauenschulter noch als porno durch, wenn dann sexszenen auf der leinwand zu sehen sind, das war DER skandal! Daran merkt man mal WIE koservativ das hier ist. die leute waren wirklich schockiert. Ein film wie shortbus oder ähnliches wäre hier undenkbar. ich habe die ganze zeit in mich reingestaunt und wie gesagt die festivalleitung für ihren mut bewundert, sich für diesen film entschieden zu haben, zumal diesen in dem größten saal zu zeigen, den damaskus zu bieten hat. Das cham-cinema 1 ist bestimmt größer als das größte cinemaxx. Es waren sicher nicht nur die sexszenen, auch die fast schon demonstrativ zur schau gestellte bindungslosigkeit, die sehr egalitären geschlechterrollen, etc, die diesen film dann auch wieder zu einer wirklich guten wahl machten. Er zeigte eben sehr eindringlich, dass in letzter konsequenz sexuelle befreiung ohne den preis der ödnis nicht zu haben ist. Und er kam dann wohl beim verbliebenen publikum (moderne junge menschen und wie rafik sagte viele drusen) auch recht gut an. Vor dem film habe ich noch einen freund getroffen, der sich einen anderen film angesehen hatte, der wohl auch recht gut und kontrovers war. Und man kann vermuten, da eben der kulturminister syriens die schirmherrschaft über dieses festival hatte, dass damit auch irgendwie ein zeichen gesetzt werden sollte. Wenn ich doch bloß wüsste, welches.

brennende fahnen, wütende demonstranten und nicht ganz so geheime polizisten

Auf dem weg zu einer mittagsverabredung am marje fallen mir schon die heerschaaren mittelalter, gutgenährter männer auf (die ganz offenbar nicht beim mittagsgebet sind). Normalerweise ist um die zeit die stadt wie ausgestorben. Die läden sind geschlossen und die menschen entweder zuhause oder eben in der moschee. Heute ist dem nicht so. dann, am zentralen platz vor der uno-zentrale steht auch viel polizei. Von weitem kann ich eine kleine demonstration erkennen, die sich dem platz nähert (vielleicht so dreißig leute). Die transparente kann ich nicht lesen (ich scheitere schon an der sehr verschnörkelten schrift, selbst wenn ich ein wort entziffert hätte, mir fehlte dann sicher das vokabular), aber die bilder zeigen jerusalem. Es handelt sich also um eine der demonstrationen, die hier nicht wirklich systemgefährdend sind. Die dreißig menschen (viele frauen – alle ohne kopftuch!) bauen sich mit ihren transparenten in der mitte des platzes auf. Es scheint sich um die vorhut zu handeln, denn es sind drei fernsehübertragungswagen und cirka zehn kamerateams anwesend. Die werden kaum wegen der dreißig menschen gekommen sein. Auch die hundertschaften an geheimpolizei lassen auf eine kommende großdemo schließen.

Dann fahren mit lauter musik und marzialisch gekleideten menschen zwei kleinbusse heran, die die fahnen der hamas und des islamischen jihad schmücken. Kurz darauf füllen sich die straßen (das gebet ist vorbei) und tausende palästinensische- und syrische fahnen schwenkende menschen demonstrieren gegen die siedlungspläne israels. Auf plakaten sieht man hundertfach ein neues präsidentenbild des syrischen präsidenten, auf dem der präsident mal richtig gut aussieht. Da war sicher photoshop am werk. Ich liebe solche großdemos hier. Sie sind immer so symbolträchtig und reich an pathos. Mit benzin wird ein judenstern auf den asphalt gegossen und angezündet. Dann kann man ihn mit den füßen austrampeln. Oder man verbrennt eine amerikanische flagge – das kommt auch immer wieder gut. Dazu skandieren wütende menschen aus tausenden kehlen kraftvolle slogans. Bei uns sind demos immer nur latsch-demos und zum einschlummern, hier ist wenigstens action! Und die warnhinweise des auswärtigen amtes (man solle sich von solchen großdemos fernhalten) kann man getrost ignorieren. Ich habe selten so positive reaktionen auf meine anwesenheit bei einer demo bekommen, wie hier.

Selbst als ich mal mit einem freund bei einer solchen demo war, der ungeschickterweise an dem tag auch noch ein t-shirt mit einer amerikanischen flagge anhatte, wurden wir willkommen geheißen. Ich glaube es liegt daran, dass die menschen hier noch nie wirklich ihre regierungen haben wählen können und daher sehr wohl zwischen menschen und regierungen zu unterscheiden vermögen. Als george dabbelyou an der macht war, haben wir doch alle amerikaner doof gefunden, eben wegen iher regierung (die sie ja auch irgendwie gewählt hatten). Jetzt finden wir amerikaner wieder cooler – eben wegen obama. Hier aber, wo die menschen wissen, dass regierende nicht das volk sind, wo sie als diktatoren oft ja sogar gegen das volk handeln, nimmt man die menschen – egal aus welchem land – eben als menschen wahr und nicht als vertreter ihrer regierung. Daher werden eben auch amerikaner willkommen geheißen – trotz ihrer regierung. Ich wünsche mir dieses abstraktionsniveau manchmal in deutschland.

Eine frage aber beschäftigte mich noch, als sie demo schon zuende war und horden junger menschen fröhlich die straßen unsicher machten: warum waren die ersten dreißig demonstranten alle kopftuchlos, die dann kommenden wagen aber islamistische organisationen? Ich habe dafür nur eine erklärung: die alevitische, säkulare (herrschende) schicht will sich den protest gegen die israelische politik nicht aus den händen nehmen lassen und ihn nicht den islamistischen organisationen überlassen. Daher musste die choreographie dahingehend gestaltet sein, dass erst die staatstragenden elemente und dann (sich quasi darunter subsumierende) islamistische, religiöse kräfte die bühne betreten. Eine sache nur hat mich doch sehr verwundert: warum so viel geheimpolizei? Die müssen wirklich eine wahnsinnige angst haben, dass solche demonstrationen entgleiten. Dabei habe ich an keiner stelle auch nur einen funken unkontrollierter aggressivität gespürt. Noch lange hinterher sind jugendliche mit assad-bildern durch die stadt gezogen und haben den freien tag gefeiert.