Freitag, 30. April 2021

Schrottreife Fahrzeuge, antiquierte Öfen und die politische Lage

Nach dem Frühstück fahren wir mit einem Wagen, den Ali auf irgend eine Art und Weise ergattert hatte (ich glaube ein Bekannter von ihm hat eine Wagenvermietung, die sich augenscheinlich auf schrottreife Fahrzeuge spezialisiert hat, und Ali hat es übernommen, mit diesem Wagen zu einer Werkstatt zu fahren, die aber erst ab 19 Uhr geöffnet ist, so dass wir vorher noch zusammen den Wagen nutzen können) zum „Schwimmbad der Jugend“. Es ist voll und obwohl normalerweise Freitag der offizielle Tuntentag ist (wie der „gay-event-calendar“ der Stadt Damaskus ausweist), haben sich auch heute viele gleichgeschlechtlich Veranlagte (tragischer und weniger tragischer Natur) im Bad eingefunden. Obwohl wir im Schatten sitzen, habe ich hinterher leider einen Sonnenbrand, allerdings keinen schlimmen. Die Qualität des Wassers malheureusement, lässt zu wünschen übrig. Es ist trüb’ und mit zahlreichen Schwebepartikelchen versehen, deren Herkunft man sich nicht näher ausmalen möchte. So gehen wir beide nur zwei Mal und recht kurz hinein, als es sich ob der großen Hitze gar nicht mehr vermeiden lässt, duschen uns hinterher gleich ab und beten zu Gott, dass unsere Haut widerstandsfähig genug sein werde, die Keim-Attacken abzuwehren. Das andere Schwimmbad (in Rabwe) ist eindeutig mein Favorit! Ich bin bei Michel zum Mittagessen. Köstlich! Er hat ein Ofengericht zubereitet, in einem Ofen, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Er sieht aus, wie eine platte, ausgebaute und auf dem Boden stehende Wäscheschleudertrommel, die an einem altertümlichen Kabel an der Steckdose hängt. Da dieser Ofen trotz seines antiqierten Aussehens schon aus einer Zeit stammt, zu der es elektrischen Strom gab, arbeitet er mit eben diesem. Um so ärgerlicher, wenn während der Garzeit von einer Stunde der Strom zwei Mal ausfällt, sich die Garzeit so um mehr als das Doppelte verlängert. Immerhin bekommen wir irgendwann das köstliche Mahl auf den Tisch. Er wohnt in einer ganz reizenden, ruhigen und sehr europäisch eingerichteten Wohnung am Bab Touma. Nach dem Essen hören wir noch ein paar Platten (unter anderem die neue von Fayrouz: „Eh fi amal“ – „Ja, es gibt Hoffnung“, die ich mir gleich danach kaufe, da sie so wunderbar ist. Sie ist erst letztes Jahr erschienen und Fayrouz ist da schon 72 Jahre alt, hat aber immer noch eine göttliche Stimme). Rafik versucht unterdessen die Reparatur der Klimaanlage – fünfter Teil – zu beaufsichtigen. Diesmal mit immerhin mäßigem Erfolg, was mich froh stimmt, da ich nun die berechtigte Aussicht habe, bei unter 40 Grad schlafen zu können. Wir sollen sie, da es sich um ein so altersschwaches Gerät handelt, aber immer nur höchstens zwei Stunden laufen lassen, dann wieder ausstellen. Ja, so kriegt man die Wohnung vielleicht wenigstens zeitweise auf unter 40 Grad. Was schön wäre, denn der Kühlschrank hat seinen Geist aufgegeben. Lebensmittel haben hier aber bei über 40 Grad ohne Kühlung eine erschreckend kurze Halbwertzeit. Das Eis konnte ich selbstredend sofort entsorgen, aber auch der Joghurt, die Milch, selbst das Obst werden von der Hitze nicht besser. Da der Hauswirt meint, er habe uns ja einen heilen Kühlschrank übergeben, beharrt er darauf, dass wir unsum die Reparatur zu kümmern hätten. Und da sage noch einmal Einer, dass Deutschland eine Servicewüste sei! Er hat natürlich recht, das antike Stück (geschätztes Alter: 40 Jahre) war uns heil - wenngleich eben schon recht altersschwach - übergeben worden. Aber was ein dummer Zufall auch! Es kühlt nun eben nicht mehr. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, glaube aber, dass Rafik morgen sicher einen Fachmann (noch dazu Inscha’allah einen gutaussehenden) finden wird, der sich der Sache für ein wenig Geld annimmt. Am Abend treffe ich einen Bekannten aus der Gegend meiner alten Wohnung und wir gehen in ein von einem vormals in Wien lebenden Syrer geführtes Cafe. Erstaunlicherweise wird recht offen über Politik gesprochen (allerdings auch mit stark österreichischem Akzent). Die Verachtung gilt vor allem den Verwandten des Präsidenten, allen voran dem Cousin, an denen hier niemand ein gutes Haar lässt, aber die Einschätzung ist auch hier, dass sich die Regierung halten wird und dass das besser sei als alle drohenden Alternativen (islamistische Regierung, Chaos und Bürgerkrieg). Fuad spricht sehr gut Deutsch und wir können eine komplette Unterhaltung (sogar über politische Themen!) auf Deutsch führen. Ich hatte mich mit ihm getroffen, da er sich auf seinem Facebook-Profil, im Gegensatz zu allen anderen meiner syrischen Bekannten, dezidierter politischer Stellungnahmen enthält, ich ihn aber noch als sehr politischen Menschen in Erinnerung hatte, der sehr genau wusste, dass er nach Deutschland wollte, nicht nur, weil man dort gut studieren, sondern auch seine Meinung äußern kann. So dachte ich, ich könnte vielleicht eine recht „neutrale“ Einschätzung der Lage bekommen. Seine Freunde teilen sich in zwei Gruppen. Die einen, die permanent regierungstreue Statements abgeben und die anderen, die den Aufruhr unterstützen. Erstaunlicherweise hat das laut Fuad bisher nicht zur Belastung der Freundschaften geführt. Gute Freunde können sehr wohl glühende Verfechter des Aufruhrs, als auch felsenfeste Unterstützer des Regimes sein, ohne dass ihre persönliche Freundschaft darunter leidet. Welche Seite man unterstützt hänge davon ab, ob die Familie Geld habe, also von den bisherigen Verhältnissen profitiere, und woher jemand käme. Wenn jemand aus einer Gegend wie Jableh oder Hama komme, sei es wahrscheinlicher, dass er die Proteste unterstütze, allein schon in Solidarität mit seiner Heimatstadt. Dass es in einigen Gegenden der Umgegend von Damaskus zu Protesten komme, in anderen nicht, hänge auch von den jeweiligen Moscheen ab. Wo die Sheiks eher regierungskritische Freitagspredigten hielten, sei die Chance auf anschließende Proteste größer (Qabun, Bab El-Sriji). Insgesamt verlaufe die Grenze aber entlang den Bildungs- und Einkommensgrenzen. Je ärmer und ungebildeter die Bevölkerung sei, desto eher zum Protest bereit. Nur Midan sei eigentlich ein recht bürgerliches Viertel, aber eben so konservativ bis islamistisch, dass es schon von daher in Opposition zur Regierung stehe. Wie es weitergeht, weiß wohl so genau niemand. Die europäische Einschätzung von einem kommenden Bürgerkrieg teilt hier aber niemand. Am häufigsten hört man, dass es lange dauern werde, dass die Regierung die Aufstände aber niederschlagen werde und nicht ernsthaft gefährdet sei. Ob es dann wirklich zu den angekündigten Reformen kommt, daran glauben dann schon weniger, als an die Niederschlagung der Unruhen. Die ökonomischen Probleme werden von Fuad nicht als so gravierend angesehen, denn Syrien verfüge über ausreichende Mengen Öl und habe mit China, Russland und dem Iran potente Partner. Man könne sehr gut auf Amerika und die Europäer verzichten. Die großen Aufträge gehen dann an chinesische oder russische Firmen, die die syrische Regierung vorbehaltlos unterstützen. Es sei zwar zur Zeit schwierig aber eine ökonomisch brenzlige Situation sei das noch nicht, eher eine Phase der Umorientierung. 2011

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