Freitag, 30. April 2021

Teure Birnen, Teelichtplaudereien und subjektives Sicherheitsempfinden

Nachdem ich mich ausführlich meiner morgendlichen Lektüre hingegeben hatte, habe ich einen ausführlichen Spaziergang durch die sonnige doch kühle Stadt unternommen. Danach habe ich einige Einkäufe erledigt und mich dann tatsächlich doch das erste Mal über die Preise gewundert. Ein Kilo Birnen 200 syrische Lira – das sind 3 € und damit genauso teuer, wie in Deutschland! Bei einem Einkommen von ungefähr einem Zehntel des deutschen Einkommens. Das wäre, als würde in Berlin ein Kilo Birnen 30 € kosten. Auch das Öl im Supermarkt war mit 2,50 € für einen Liter billiges Sonnenblumenöl meines Erachtens teurer, als in Deutschland. Birnen muss man nicht essen, aber dass auch Öl oder Zucker inzwischen hier so teuer sind, dass man sie sich kaum leisten kann, ist schon erstaunlich. Bei meiner luxuriösen Lebensweise hier gebe ich gut und gerne an 3 Tagen das Geld aus, dass eine arme Familie hier in einem Monat ausgeben kann und es macht nicht einmal Mühe. Danach bin ich ins Internetcafé und habe mir ein paar beunruhigende Neuigkeiten aus Syrien auf den Laptop geladen, die ich später am Abend lesen werde. Tatsächlich ist in der Stadt heute eine komische Atmosphäre. Die Lederjackendichte ist größer als je zuvor und offenbar scheint irgendwo wieder eine Demonstration für den Präsidenten stattzufinden, stattgefunden zu haben, oder geplant zu sein. Mit meinen Einkäufen schwer bepackt nachhause kommend, berichtet Rafik mir vonScharfschützen die auf den Dächern am Bab Msalla positioniert seien und er vermutet irgendeine Bombendrohung. Da auch die Stadtverwaltung ein anschlagsrelevantes Ziel ist, dass im Laufe der letzten Tage mit Metallbarrieren umstellt wurde, beschließe ich, da ich nicht möchte, dass wir die Bombe direkt unter meinem Arsch explodiert, auf dem Weg zu Maria einen kleinen Umweg durch kleinere Straßen zu nehmen. Als ich bei ihr ankomme, wird gerade der Strom abgestellt und wir verbringen zwei Stunden bei einem Teelicht plaudernd und ohne jeden Strom. Maria und ihr Mann werden im März wieder nach Kanada gehen, um dort die Geburt ihrer Tochter „abzuwickeln“, wo bei man das bei einer Geburt ja nicht sagen darf, sondern lieber „beizuwohnen“ sagt, oder? Wir unterhalten uns über dies und das, viel über die politische Situation und das Leben in Damaskus. Außer den häufigen Stromausfällen hier, hat sich im Laufe der letzten Monate in Damaskus ja kaum etwas verändert. Mit den Stromausfällen kann man leben, auch wenn es mühsam ist, dass man ausgerechnet in einer Situation, in der man zum Beispiel gerne Nachrichten sehen möchte, den Fernseher ja ohne Strom nicht gebrauchen kann. Auch die Kaffeemaschine und selbst die Elektrozündung des Gasherdes laufen ohne Strom nicht – erstaunlich! Bei der schlechten Isolierung der Häuser wird es auch nach zwei Stunden ohne Heizung etwas kühler. Außerdem Strom gibt es allerdings in den letzten Tagen eine weitere Veränderung in der Stadt. Um das Bürgermeisteramt und andere strategisch wichtige Gebäude wurden im Abstand von 1 m 50 Rohre, also Metallsperren in den Boden eingelassen. Wir werden uns schnell einig, dass diese wohl kaum Autobombenanschläge verhindern würden, aber offenbar als Signal gelesen werden müssen, dass die Regierung etwas tut. Entweder sollen sie das subjektive Sicherheitsempfinden erhöhen, oder die Unsicherheit. Vielleicht sind Sie aber auch nur Bestandteil des syrischen Investitionsprogramms, das unter anderem auch zur Renovierung des Zipkie-Parks geführt hat. Überhaupt scheint die Ökonomie hier erstaunlich stabil ebenso viele neue Läden eröffnen, wie welche schließen. Die neu eröffneten Läden sind allerdings fast ausschließlich Restaurants, Imbisse oder Saftbuden. Die schließenden Läden häufig Klamottenläden, derer es hier aber eher schon viel zu viele gab. Wir stimmen in dem Erstaunen darüber überein, wie stabil doch die syrische Wirtschaft trotz der Sanktionen weiter funktioniert. Eben nur die Stromausfälle… Der Rest ist Stimmung. Auch bedingt dadurch, welche Nachrichten man gerade selber hört, wie man zu ihnen steht, was man durch welche Kanäle auch immer gehört oder vermutet hat. Zum Beispiel Rafik, der heute die Scharfschützen sah, irgendwie merkte, es ist etwas nicht in Ordnung, aber natürlich niemanden fragen konnte was denn los sei. Diese Unsicherheit, diese Möglichkeit, dass etwas passieren könnte, ist das, was vielen hier das Leben schwerer macht. 2011

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