Freitag, 30. April 2021

Volle Straßen, erfolglose Reparaturen & eine Dienstleistungsoffensive

Im Flugzeug bin ich der einzige Europäer. Allerdings wird meine zuvor geäußerte Vermutung nicht wahr, dass wir halbleer nach Damaskus fliegen. Bis auf wenige Plätze ist das ungarische Fluggerät älteren Baujahrs voll besetzt. Offenbar alles Syrer, die in die Heimat fliegen. Vermutlich ist es meine Einbildung, dass ich mehr besorgte Mienen sehe als sonst, dass die Stimmung etwas gedrückter ist, als gewöhnlich. Obschon der Syrer an sich ja – wenngleich ein extrem freundlicher Mensch – nicht dafür bekannt ist, eine Stimmungskanone zu sein. Vielleicht nehme ich die arabische Schwermütigkeit in der momentanen Situation auch nur mit geschärften Sensoren wahr. Die Ankunft wie immer, allerdings bin ich der einzige, der sich bei „Forreign Passports“ anstellen muss. So geht es wenigstens schön schnell. Auch auf die sonst obligate Sicherheits- und Gepäckkontrolle bei der Einreise verzichtet man diesmal (vermutlich, damit man die Waffen ungestörter schmuggeln kann). Auf der Autobahn weder die angekündigten Kontrollen des Militärs, noch andere Wagen. Da erstaunt es, dass ausgerechnet heute – wo auf der ganzen Fahrt vom Flughafen in die Stadt vielleicht 12 Wagen gesichtet werden, zwei Unfälle passieren, einer davon sogar mit mehreren Wagen. Vielleicht sind sie doch irgendwie wuschig, oder fahren ob der augenscheinlich freien Fahrt (für unfreie Bürger) rasanter als gewöhnlich. Bei meinem ersten Rundgang durch die Stadt stelle ich erstaunliche Veränderungen fest. Vom Sa’at Arnous über die Salhiyye bis zum Merje, die Sharia Al-Thaura entlang und am Souk Hamidiyye bis zum Bab El-Jabi bildet Damaskus nun einen einzigen, geschlossenen Straßenmarkt. Jeder Quadratcentimeter des Trottoirs ist mit Waren aller Art (vorwiegend chinesischer Herkunft) voll gelegt. Selbst, wenn man am Merje einen Mikrobus nehmen will, muss man über ausgebreitete Handytaschen und Damenoberteile steigen, um seinen Bus zu erreichen. Die Polizei macht nichts, da sie nicht noch mehr Unmut hervorrufen möchte und so scheint diesbezüglich gerade alles erlaubt. Jeder kleinste Grünstreifen ist zu einem Cafe umfunktioniert, mit Plastikstühlen, Teeküche und lauter Musik läd es zum Verweilen ein. Allerdings hat man nicht das Gefühl, dass die Geschäfte gut laufen. Weder kaufen viele Leute ein, noch sitzen Menschen in den ihnen dargebotenen Cafes. Die Läden, die nun noch Miete zahlen müssen sind zudem eindeutig im Nachteil. So sieht wohl eine Volkswirtschaft kurz vor ihrem Kollaps aus. Läden leer, Preise dennoch hoch und höher, insbesondere was die Grundnahrungsmittel angeht, die ganz offenbar zu einem Gutteil importiert werden müssen. Wenn es einen syrischen Konsumklimaindex gibt, hat dieser vermutlich den Gefrierpunkt erreicht. Selbst die Taxis sind oft leer. Baustellen verwaist und in dem Zustand, in dem ich sie schon im März gesehen hatte. Der Präsident muss sich dringend etwas überlegen! Immerhin sehe ich noch eine dieser wunderbaren inszenierten Jubeldemos. Diesmal eine Kleine vor dem Souk Hamidiyye. Es gibt ja auch größere, wie heute angeblich in Hama mit dieser 2,3 Kilometer langen syrischen Fahne. Drei Fernsehkameras, die in jubelnde Menschengruppen (denn von Massen kann man bei dieser Manifestation nicht sprechen, es sind wohl an die dreihundert Parteigänger anwesend) halten und permanentes Fahnenschwenken. Die meisten Passanten gehen ungerührt vorüber, soweit man sich bei den Massen an Waren, die die Gehwege blockieren überhaupt in der Lage sieht zu gehen. Ian berichtet mir bei einem Kaffee im Scha’alan-Park von seinen Geldautomaten-Erfahrungen. Es scheint diesbezüglich nämlich eine Dienstleistungsoffensive eingesetzt zu haben, die darin besteht, dass man sich von hilfsbereiten Menschen bei der Abhebung helfen lassen kann, indem man ihnen die Karte aushändigt und die Geheimzahl mitteilt. Diese heben dann den gewünschten Betrag ab, händigen einem Karte und Geld aus und man geht (ein kleines Trinkgeld gebend?) von dannen. Eine Idee, die dem überall Missbrauch und Betrug witternden Europäer einen Schauer über den Rücken Jagd, die aber hier ganz offenbar keine Gedanken an eventuelle Gefahren aufkommen lässt. Da man sich ja auch das Parkticket am Automaten von jemandem ziehen lässt (der den Automaten ganz wunderbar mit seiner Arbeitskraft ergänzt), liegt es nahe, das auch bei anderen automatengestützten Dienstleistungen zu tun. Da die von Rafik angemietete Wohnung mit Balkon in der Endetage, ob derer mir ein wunderbarer Blick über das Zentrum der syrischen Kapitale in Aussicht gestellt wurde, wegen eines kurzfristig eingetretenen Wasserschadens offenbar unbewohnbar geworden ist, muss ich die erste Nacht im ersten Stock (bzw. der Deckenhöhe nach zu urteilen der Zwischenetage) logieren. Wasserschaden hin, Wasserschaden her, nach dieser Nacht in einer dunklen Gruft bestehe ich darauf, in den fünften Stock zu ziehen, auch wenn ich von nassen Teppichen und Matratzen umgeben sein sollte. Und: so schlimm ist es bei Weitem nicht! Da bei 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von annähernd 0% eh alles trocknet, bevor man es aufwischen kann, ist von dem Wasserschaden nur noch die defekte Klimaanlage zu sehen. Diese allerdings wird mit ungeahntem Diletantismus den ganzen Tag über repariert. Also selbstredend ohne Erfolg, aber mit heißem Bemüh`n. Erst wartet ein Klimaanlagenfachreparateur auf den anderen, der das begehrte Ersatzteil holen soll (welches nie ankommt, was aber nichts macht, da der anfangs Wartende auch nach Stunden unbemerkt verschwindet und ein weiterer Fachmann erscheint). Dann ist die Gasflasche, mit der etwas hätte geschweißt werden sollen erstaunlicherweise leer (was auffällt, nachdem sie mit großem Bohei auf das Dach gehievt worden ist). Die Beschaffung einer neuen Gasflasche dauert abermals Stunden, als sie endlich herbeigeschafft wird, stellt man fest, das ein wichtiges Ersatzteil fehlt, dann ist die Parkzeit des Monteurs abgelaufen (die Parkplätze werden in Damaskus jetzt von einer mafiaartigen – sicher im weitesten Sinne der Präsidentenfamilie gehörenden – Organisation mit sündhaft teuren Parkgebühren belegt und da die Strafen für die Überziehung der Parkzeit so astronomisch sind, müssen alle wichtigen Arbeiten stehen und liegen bleiben, um dieses Schicksal abzuwenden. Aber das ist eine andere Geschichte). Er verschwindet und tauscht erst viel später – in Begleitung eines weiteren Fachmanns auf. Ja, bei uns ist heute Tag der offenen Tür! Beide schrauben und drehen, schweißen und klopfen was das Zeug hält – alles hoffnungslos. Das sicher bereits 30 Jahre alte Gerät macht zwar ab und zu „brumm“ aber ein kühles Lüftchen will ihm nicht entweichen. Ob der fortgeschrittenen Stunde werden die Arbeiten auf den nächsten Tag avisiert – man ist gespannt.

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