Montag, 8. März 2010

anständige jungs, kultur, pinkelverbote und deutsche expertise

Der alltag in damaskus gestaltet sich überraschend angenehm. Bei meinem kleinen laden um die ecke werde ich nun schon mit handschlag begrüßt und man gewährt mir kredit. Nicht weil mir das geld schon ausgegangen wäre, sondern weil man manchmal einfach kein wechselgeld hat und mir dann bedeutet, morgen oder eben wann anders zu zahlen. Außerdem arbeitet dort ein kleiner junge, der mir die tüten mit tragen hilft (dabei ist er selbst kaum größer als die tüten die er trägt). Wegen des wassers ist manchmal viel zu tragen. Als ich ihm heute trinkgeld anbiete, lehnt er entschieden ab. So anständige kleine jungs gibt es außerhalb syriens gar nicht mehr, glaube ich. Überhaupt schreitet die verderbnis, die ich wegen der globalisierung schon seit langem befürchte, beruhigend langsam voran. Nicht mehr bettler (also fast keine), weiterhin keine diebstähle, weiterhin freundlichkeit allerorten, ehrliche kaufleute und straßenhändler ohne betrügerische ambitionen, daneben hilfsbereitschaft und ein bezauberndes lächeln. Alles, was in beirut schon vor jahren verschwunden ist, von dem ich nicht weiß, ob es in ägypten je existierte – hier gibt’s das noch.

Am abend etwas rausgegangen und bei einem open-air „festival“ im scha’alan-park dabeigewesen. Erst gab es so was wie sanat-müzik, dann einen geschichtenerzähler und dann schattenspiele. Es ist erstaunlich, wie sehr die leute dabei mitgehen, jung und alt, aus allen schichten. Spätestens bei den schattenspielen (so eine art puppentheaterstück) wäre bei uns doch schluss mit lustig. Nicht nur, dass das volk ruhig umbaupausen von 15 minuten über sich ergehen lässt, auch sind sie wirklich ein dankbares publikum. Das kann natürlich auch dem umstand geschuldet sein, dass der veranstaltungskalender der stadt gerade mal eine halbe seite umfasst – im monat! Dazwischen hühnerte so eine moderatorin des syrischen fernsehens rum, die super aufgedonnert mal hier mal dort interviews führte. die meiste zeit war sie aber damit beschäftigt, über ihre viel zu lange abendgarderobe zu stolpern.

Deutsche Expertise ist hier (im moment, oder nur weil ich es beginne zu verstehen?) der letzte schrei. German expertise, technologie alleman oder „aus deutschland“ – alle werben damit. Der kräutertee wird mit eben dieser expertise hergestellt, keine waschmittelwerbung kommt ohne die betonung der deutschen technologie aus, die in das produkt eingeflossen sein soll und made in germany ist allein schon für sich ein werbeargument. Audi wirbt auf deutsch (!) mit dem wort „fortschritt“ – ohne übersetzung und die neuen waschmaschinen (marke: no-name) sind selbstredend mit deutscher hochtechnologie zustande gekommen. Schon vor jahren sind mir ja sinalco – „die beste limonade aus deutschland“ (allerdings mit übersetzung) und eine „starmix of germany“ genannte ventilatorenfirma aufgefallen. Aber jetzt habe ich das gefühl, dass es mehr und mehr wird. Da viele merken, dass ich nicht von hier komme (meist denken sie frankreich oder usa, neulich auch italien – immerhin noch nie china), ist die freude oft um so größer, wenn man hört, ich sei aus deutschland. Wenn dann klinsmann, bmw, mercedes und bayern-münchen genannt werden ist ja noch alles in ordnung, zum glück bin ich noch nicht mit einem freudigen „heil hitler“ begrüßt worden, wie thomas und ich im libanon in den 90er jahren.

In damaskus herrscht jetzt öffentliches pinkel-verbot! Es sind plakate aufgestellt, auf denen (gut gestylt) darauf hingewiesen wird, dass auf wildpinkeln drei monate gefängnis (!) und (!!!) eine geldstrafe stehen. Bei solchen strafen fragt man sich: warum nicht gleich die todesstrafe? Ich meine wildpinkeln ist doch wirklich ein verbrechen, und wer auf St. Pauli lebt und weiß, wie es riecht, wenn es mal einige tage nicht regnet (was ja zum glück nicht so häufig vorkommt), der würde doch auch gern härtere strafen herbeisehnen. Rafik meint aber es sei halb so schlimm, denn man müsse schließlich erstmal von einem polizisten dabei erwischt werden. Erstaunlicherweise sind die meisten dieser plakate an den überteuerten seit neuestem privatwirtschaftlich organisierten öffentlichen toilettenbuden angeklebt. Dort kostet das pinkeln mehr als eine busfahrt durch die ganze stadt. Und einmal pinkeln kostet genauso viel, wie ein halber liter mineralwasser im restaurant! Ich werde auch weiterhin lieber drei monate gefängnis in kauf nehmen, als diese preise zu zahlen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen