Montag, 8. März 2010

religiöse riten, wildes trommeln und schöne gesten der zuneigungs

Am abend auf dem weg zum bab touma, wo ich noch nach weiteren schönen klamotten suchen wollte, stehe ich im micro im donnerstags-abends-stau. wenn man nach dem abendgebet die massen der betenden aus der moschee stürmen sieht, merkt man, wie allgegenwärtig religionsausübung hier ist. der islam macht es den gläubigen dabei ja irgendwie auch leicht. Er hat meiner meinung nach prototypische elemente von religion miteinander kombiniert, die eine enge bindung an ihn möglich machen. Durch das verbot von alkohol und schweinefleisch im alltag und den fastenmonat ramadan wird askese verlangt. Eine religion ohne ein persönliches opfer hat sicher weniger bindungskraft. Das fünfmalige beten am tag führt eine gewisse regelmäßigkeit ein, mit der sich die religion immer wieder in erinnerung bringt. Das geben von allmosen und die fahrt nach mekka geben ein gemeinschaftsgefühl. Die drei elemente askese, regelmäßigkeit und gemeinschaftsgefühl zusammen haben es bestimmt in sich.

Darüber hinaus wird ja auf vieles verzichtet, was die christen so haben. Die drohung mit der hölle zum beispiel ist wohl nicht so präsent. Halte dich an die paar regeln und alles ist geritzt. Schön übersichtlich. Am wichtigsten scheint mir aber der verzicht auf dieses persönliche über-seine-sünden-rechenschaft-ablegen-müssen (in der beichte oder bei den evangelen noch schlimmer nur vor gott – auf sich ganz allein gestellt). Dieses dadurch nötige in-sich-gehen, das sich erkunden und ausforschen führt auf lange sicht natürlich zur herausbildung eines gewissens, es ist aber vermutlich in religionstechnischer hinsicht viel komplizierter, als sich fünf mal am tag gen mekka zu verneigen. Wenn dann noch eine vorstellung von: „ich glaube in mir und für mich persönlich und jeder kann gott sehen, wie er will und so weiter“ hinzukommt, dann ist der erste schritt zum verschwinden der religion schon getan.

Das haben die moslems viel besser eingerichtet. Die haben genügend dinge, die einem verschwinden der religiosität entgegenwirken. Und die externen regularien führen dazu, dass ich dann, wenn ich nicht beobachtet werde, auch mal machen kann, was eigentlich verboten ist. sobald soziale kontrolle versagt, gibt es keinerlei kontrolle mehr. Aber soziale kontrolle ist hier ja fast allgegenwärtig. Dabei ist mir immer die geschichte meines freundes jassir, des libanesen aus frankfurt in erinnerung. Den besuchte eines tages seine ca. 50 jahre alte schwester aus dem libanon. Als er zur arbeit musste, hat sie ihn gebeten, sie in der wohnung einzuschließen (!), denn sie habe so eine angst davor allein und ohne kontrolle zu sein. Sie war noch niemals in ihren ganzen leben zuvor auch nur eine minute ganz allein gewesen!

Am bab touma angekommen merke ich, dass ich dem christentum unrecht getan habe. Vielleicht mag das in europa so sein, aber hier haben auch die christen ein sehr starkes bedürfnis, ihre religion auszuleben. Und sie haben lustige rituale! Ich werde zeuge einer mit höllischem lärm durchgeführten trommler- und bläser- formation, die auf dem hof der kirche das letzte aus ihren instrumenten heraustrommelt und bläst. Der herrgott persönlich muss das gehört haben, so laut war das! Als zaungäste im wahrsten sinne des wortes, denn die pforten der kirche sind verschlossen, stehen viele leute und hören sich das an. Dabei gehen die musiker in bestimmten figuren über den hof, das ganze könnte sich beim zdf-fernsehballett bewerben, wenn es das noch gäbe. Neben mir stehen zwei hussams (komisch, die heißen alle mustermann!), die den Donnerstag abend nutzen, um am bab touma hübschen mädchen hinterherzusehen. Erstaunlich: wir stehen nebeneinander und sehen uns die prozedur an. Einer der hussams legt plötzlich und unvermittelt seinen arm um meine schulter. Ich erschrecke nicht, denn ich kenne das ja schon, diese körperlichkeit zwischen männern oder frauen, die europäer gern als homosexualität fehlinterpretieren, die aber vermutlich gerade aus der undenkbarkeit eben dieser resultiert. Ja, so etwas gibt es hier, unverbindliche gesten der zuneigung fremden gegenüber.

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